»Jede Wimmelbild-Figur ist ein kleines Individuum«
In unserem ersten Strategiemeeting kurz nach unserem #halloludwigsburg-Launch 2019 brannten wir für die Idee, ein Wimmelbuch von Ludwigsburg zu machen.
Von allen Produkten, die wir im Kopf hatten, war das unser absoluter Favorit. Und weil wir es lieben, mit anderen Kreativen zusammen zu arbeiten, war schnell klar: Ein Profi muss her.
Die beste Entscheidung fiel auf Brigitte Kuka!
Die freie Illustratorin aus Bielefeld hat schon sechs andere Stadt-Wimmelbücher gezeichnet und weiß daher genau, worauf es bei den wimmeligen Situationen, Figuren und Perspektiven ankommt. Uns hat ihr Auge für Diversität und inklusive Szenen gefallen, und wir haben direkt gemerkt, dass unsere Werte übereinstimmen. Eine wichtige Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Nach einem sehr netten Kennenlern-Video-Call zu dritt war die Sache schnell klar: Wir rocken das zusammen!
Jetzt halten wir zusammen mit bereits mehreren tausend anderen Menschen »In Ludwigsburg wimmelts« in den Händen und können es immer noch nicht ganz glauben, was wir da Wundervolles zusammen geschaffen haben.
Von der Bleistiftskizze zum farbigen Aquarell: Wie entsteht ein Wimmelbuch?
Zum Abschluss unseres Buchprojekts haben wir uns online mit Brigitte verabredet, um uns an die spannendsten Momenten unserer gemeinsamen Zusammenarbeit zu erinnern. Wir tauschten uns über die größten Herausforderungen beim Wimmelbuch-Zeichnen aus, sprachen über Diversität in Kinderbüchern und fragten die Ostwestfälin, wie ihr Ludwigsburg gefallen hat. Hier lest ihr das ganze Interview mit ihr:
Brigitte, drei Monate lang hast du intensiv mit uns am Ludwigsburg Wimmelbuch gearbeitet. Wie geht es dir jetzt, wo alles fertig gezeichnet ist?
Was das Projekt betrifft, geht es mir fantastisch, weil es super gelaufen ist. Ich bin sehr zufrieden, wie es geworden ist!
Was sind die Herausforderungen beim Zeichnen von Wimmelbildern? Und wie gehst du da vor?
Ich finde das gar nicht so kompliziert. Wahrscheinlich, weil ich es schon oft gemacht habe. Bei einem Wimmelbuch muss man zunächst die Motive finden und sich unterschiedliche Kompositionen überlegen, die sich abwechseln. Die Zeitplanung ist ebenfalls wichtig und vielleicht auch das Schwierigste von allem. Hier war gut, dass wir zu Beginn im April zügig gearbeitet haben, sodass wir am Ende gerade pünktlich fertig geworden sind.
Bei so einem Projekt wie unserem arbeite ich in fünf Phasen. Zuerst entsteht eine Grobskizze mit groben Kompositionslinien. Dann wird der Hintergrund detailliert gezeichnet. Generell hat man bei Wimmelbildern sehr viele Details und muss unbedingt reduzieren. Das war in diesem Projekt sehr relevant bei den vielen Bäumen und Schlössern, die ich gezeichnet habe.
Dann kommt der Vordergrund mit den Figuren und Details. Erst zeichne ich mit Bleistift, dann mache ich die Reinzeichnung mit Fineliner. Bei eurem Projekt habe ich direkt auf Aquarellpapier gezeichnet. Das Papier wird dann auf Holz aufgespannt, aquarelliert und dann final eingescannt.
Du zeichnest die Wimmelbilder per Hand. Warum nicht auf dem Bildschirm?
Ich zeichne gern auf Papier, weil das Papier einen gewissen Widerstand bietet. Am liebsten mit Bleistift. Denn damit kann man kleine Nuancen erarbeiten, was besonders bei den Skizzen relevant war. Die sehen dadurch noch lebendiger aus. Ich mache auch digitale Illustrationen, aber das hat dann nochmal einen anderen Stil.
Wie hast du das Zeichnen von Wimmelbildern gelernt?
Ich habe das nicht forciert, sondern wurde damals angesprochen, ob ich ein Wimmelbuch machen will. Meine ersten Skizzen kamen beim damaligen Verleger gut an und so entstand mein erstes Wimmelbuch: Bonn. Das Buch ist richtig erfolgreich geworden und wird sowohl von Tourist:innen als auch von den Bonner:innen selbst gern gekauft. Und so hat es sich weiterentwickelt. Danach kamen Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal und Gütersloh. Ich selbst sehe von Buch zu Buch eine Entwicklung bei mir.
Was hast du dazu gelernt?
Beim Thema Diversität bin ich im Laufe der Zeit besser geworden. Ich habe immer mehr auf die Verschiedenheit der Menschen geachtet und bin bewusster geworden, was für Menschen und Geschichten ich zeichne.
Ludwigsburg ist das diverseste Buch, das ich je gemacht habe. Aus diesem Projekt habe ich selbst noch viel mehr über Diversität gelernt. Bei meinen nächsten Büchern werde ich hier nun noch besser darauf achten können.
Dass Diversität und Inklusion in Kinderbüchern gezeigt wird, ist ja ein relativ neues Phänomen. Beim Urvater des Wimmelbuchs, Ali Mitgutsch, sahen noch alle gleich aus.
Ja, ein Wimmelbuch ist auch immer ein Zeitdokument. Wir zeigen jetzt, wie es 2021 in Ludwigsburg aussieht und welche Menschen es dort gibt. In zehn Jahren sieht es hier vielleicht ganz anders aus. Zum Beispiel zeigen wir die kleine Neela als Umweltschützerin mit Baum auf dem T-Shirt – ein Thema, das heute wichtig ist. Gleiches gilt für die Diversität, auf die wir im Buch viel Wert gelegt haben.
Damit ist das Ludwigsburg-Buch ein sehr aktuelles und modernes Wimmelbuch geworden. In zehn Jahren sind diese Themen vielleicht selbstverständlich – das wäre zumindest wünschenswert. Dann gibt es andere, neue Themen, auf die man sich fokussiert.
Brigitte, wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Meine Figuren sehen cartoonig aus. Ich arbeite gern typische Merkmale heraus, damit sie witzig aussehen und spaßige Situationen erleben. Meine Figuren sind außerdem nicht gestaffelt hintereinander gezeichnet. Das mag ich selber nicht, wenn es so eng ist. Denn ich gebe mir mit jeder Figur Mühe, sie total schön zu zeichnen. Jede ist ein kleines Individuum. Das kommt besser zur Geltung, wenn sie ein wenig Luft um sich herum haben.
Typisch ist auch, dass meine Figuren kleine Geschichten erzählen und dass die Figuren miteinander kommunizieren. Ich mag Kettenreaktionen über das Bild hinweg: Hier spritzt das Wasser, jemand reagiert darauf, einer hüpft zur Seite und man sieht Verbindungen der Figuren zueinander.
Die räumliche Komposition ist wichtig mit klarem Vordergrund und Hintergrund. Die Farben müssen harmonieren und ein leichter Blick von oben ist wichtig, damit man die Figuren gut darstellen kann und sie nicht alle hintereinander stehen.
Du kolorierst deine Bilder ebenfalls von Hand. Worauf kommt es beim Aquarellzeichnen an? Du hast ja nur einen Versuch und darfst dich nicht vermalen!
Natürlich vermale ich mich auch. Das kann ich hinterher in Photoshop retuschieren. Spannend beim Aquarellzeichnen ist, dass Zufälle passieren. Das finde ich spannend, dass mal etwas verläuft. Da kommt man digital gar nicht drauf, solche Verläufe zu erzeugen.
Wichtig ist, dass es nachträglich immer nur dunkler geht beim Aquarell. Ich muss also hell anfangen und kann dann bei Bedarf dunkler werden – andersherum geht es nicht. Manche Farben sind deckender, andere verlaufen mehr. Hier habe ich mir selbst einen Farbkasten zusammengestellt und weiß, wie welche Farbe funktioniert und sich verhält. Da sind Erfahrungswerte und Übung ganz wichtig.
Ich freue mich auch, dass ich den Himmel vom Märchengarten so farbig machen durfte, wie er geworden ist. Dieses Magische hat für mich so gut gepasst zu den märchenhaften Inhalten des Motivs.
Welches Motiv im Ludwigsburg Wimmelbuch ist dein liebstes?
Der Akademiehof ist mein Lieblingsmotiv. Dort habe ich bei meinem Besuch selbst abends gesessen. Die Architektur war toll und es ist einfach ein toller Ort. Und auch der Märchengarten ist ein Lieblingsbild von mir. Ich fand den einfach super toll! So schön altmodisch und mit vielen Erinnerungen an die eigene Kindheit.
War der Märchengarten nicht auch am schwierigsten zu zeichnen? Da hatten wir lange überlegt, wie wir das alles auf einer Doppelseite unterbringen.
Der Märchengarten war eine echte Herausforderung. Wenn ich nicht nach Ludwigsburg gekommen wäre, weiß ich nicht, wie ich es hinbekommen hätte. Im Vorfeld fand ich es sehr komplex mit den vielen Attraktionen, der Räumlichkeit und auch dem bergigen Gelände. Aber als wir dann da waren und davor standen, war alles klar. [lacht]
Ich habe das Motiv direkt vor Ort anskizziert und konnte später auf diese grobe Skizze aufbauen. Eure Community hat dann noch ausgewählt, welche Attraktionen unbedingt mit aufs Bild sollten. Dann war das Motiv gar nicht mehr so schwierig.
Ich [Tabea] liebe ja das Mädchen, dass auf dem Weihnachtsmarkt lauthals Lieder singt und mag auch das ältere Ehepaar im Café auf dem Wochenmarkt sehr gern. Welche Szenen magst du am liebsten?
Oh ja, ich bin ebenfalls in einzelne Szenen verliebt. Zum Beispiel in die Hasen im Favoritepark, die vor dem Spritzwasser weghüpfen und Neela und Erik, denen beim Kartenspielen auf dem Baumstumpf der Wind die Karten wegfegt. Besonderen Spaß hatte ich auch mit der Szene, in der die Leute sich in Gebärdensprache über herumfliegende Mücken unterhalten.
Wimmelbuch-Motive in Ludwigsburg besichtigen trotz Lockdown im März 2021
Wie wichtig war es für dich, persönlich in Ludwigsburg gewesen zu sein?
Also: Ich habe schon Städte-Wimmelbücher gemacht, ohne jemals dort gewesen zu sein. Wenn der Verlag gute Vorarbeit macht, geht das auch. Aber wenn ich vor Ort bin, kann ich die Motive selbst beurteilen, und schauen, ob ich alles stimmig zeichne. Der Märchengarten hätte definitiv anders ausgesehen, wenn ich nicht da gewesen wäre. Für mich persönlich war es eine Bereicherung, Ludwigsburg kennenzulernen, das ich vorher überhaupt nicht kannte.
Was waren deine Eindrücke hier?
Eine Stadt wie Ludwigsburg habe ich so vorher noch nicht kennengelernt. Die Schlösser, das viele Grün und die Verbindung zwischen den Schlössern – das ist schon sehr besonders. Seltsam fand ich, dass die Stadt durch die Bundesstraße zweigeteilt ist. Das ist schade, dass man diese Straße erstmal überwinden muss, um in die Altstadt zu kommen.
Spannend fand ich den Barockanteil der Stadt und im Kontrast dazu den Akademiehof mit den Studierenden und der tollen Atmosphäre dort. Super schade war, dass wegen Corona alles geschlossen hatte und man abends nicht mal im Biergarten sitzen konnte. Ich komme gern nochmal wieder und schaue mir alles im geöffneten »Normalzustand« an!
Berufswunsch Comic-Zeichnerin: Brigitte Kukas Werdegang
Brigitte, wie bist du zum Zeichnen und Illustrieren gekommen?
Ich habe schon als Kind gern gezeichnet und den Kunst-Leistungskurs belegt. In der 5. Klasse sollten wir unseren Berufswunsch zeichnen, das weiß ich noch. Da habe ich einen Comic gezeichnet und wollte Comiczeichnerin werden. Studiert habe ich Grafikdesign in Bielefeld mit Illustration als Schwerpunkt. Mein Professor hat mir das naturalistische Zeichnen beigebracht, das genaue Beobachten und Sehen lernen. Danach habe ich mich selbstständig gemacht und Grafikaufträge ebenso angenommen, wie Illustrationsanfragen und auch Computerschulungen durchgeführt.
Was zeichnest du besonders gern?
Ich portraitiere gern Menschen, so wie ich sie sehe. Cartoons, wie damals in der Schule, zeichne ich tatsächlich heute noch gern.
Was möchtest du noch lernen?
Was mich reizt, sind Digitalcollagen als Illustration, also Zeichnungen in Photoshop miteinander zu kombinieren. Gern würde ich noch mehr frei künstlerisch arbeiten, wozu ich derzeit aber wenig Zeit habe.
Worauf bist du besonders stolz?
Dass ich gerade so eine schön ausgewogene Mischung aus Jobs habe. Nicht nur Wimmelbilder, sondern auch andere Zeichnungen. Die Arbeit mit vielen tollen Auftraggeber:innen macht mich derzeit glücklich.
Wo und wie holst du dir deine Inspiration?
Mir ist wichtig, auch mal raus zu kommen. Ich arbeite im Homeoffice, was gut ist, weil ich mich super konzentrieren kann. Aber ich muss auch andere Städte und Kulturen atmen und vor allem raus in die Natur! So bekomme ich den Kopf frei und sammle Ideen. Besonders die Leute, die mir unterwegs begegnen, inspirieren mich. Von ihnen erstelle ich zuhause dann kleine Skizzen, auf die ich später zurückgreife, wenn ich Figuren zeichne.
Von eigenen Wimmelträumen, blauen Haaren und überraschenden Auftragsmotiven
Wie würde ein Buch aussehen, das du ganz für dich selbst illustrierst?
Ich hätte Lust, ein Wimmelbuch über meine Umgebung hier in Bielefeld zu machen. Das umfasst dann vielleicht nur einen Quadratkilometer in der Fläche. Aber ich sehe selbst auf diesem kleinen Raum hier so viele Plätze, an denen es wimmeln könnte. Da würde ich dann allein meine Ideen hineinzeichnen, die ich mit niemandem absprechen muss.
Hast du dich schon einmal heimlich selbst in ein Wimmelbild hinein gezeichnet?
[Lacht] Ja! Ich bin in Gütersloh geboren, deshalb fand ich, ich gehöre auch ins Gütersloh-Wimmelbuch hinein. Dort hinein habe ich mich so gezeichnet, wie ich früher ausgesehen habe: mit blauen Haaren und meiner Freundin an der Seite.
Wie sieht dein nächstes Projekt aus?
Gerade habe ich mit dem Münster-Wimmelbuch angefangen. Der Verleger hat mich überrascht mit Motiven, mit denen ich gar nicht gerechnet habe. Das wird auch ein tolles Projekt, das mir viel Spaß macht!
Wie hast du die Zusammenarbeit mit uns wahrgenommen?
Ich bin ganz froh, dass es so super lief mit euch. Ihr wart immer zugänglich und ansprechbar, wenn ich Fragen hatte. Ihr habt das ganz toll vorbereitet, gut konzipiert und hattet klare Vorstellungen, was euch wichtig ist. War super!
Brigitte, wir danken dir für das Gespräch und für die tolle Zusammenarbeit. Wir wünschen dir alles Gute und freuen uns, wenn wir auch in Zukunft das ein oder andere Folgeprojekt mit dir realisieren!
Veröffentlichung: 20. Oktober 2021
Autorin: Tabea Lerch
Bilder: Deborah Schulze, Tabea Lerch
Illustrationen: Brigitte Kuka