Zu Besuch im Tierheim Ludwigsburg: Vorlesen für Katzen und schwäbisch sprechende Beo-Vögel
Mit dem »Ausweis für Gassigeher« geht mein Mann seit einigen Monaten mit Tierheim-Hunden spazieren. Ich will mehr wissen über die Arbeit im Tierheim: Im Interview mit Christoph und Miriam vom Tierheim Ludwigsburg erfahre ich lustige Anekdoten, traurige Geschichten aber auch mutmachende Ideen, wie man selbst den Tierschutz unterstützen kann. Komm mit!
Am Kugelberg 20 in Ludwigsburg-Hoheneck liegt Aufregung in der Luft: Es ist Zeit zum Gassi gehen. Die ehrenamtlichen Gassigänger:innen nähern sich dem Tierheim »Franz von Assisi« — und die Vorfreude der Hunde auf einen Spaziergang ist deutlich zu hören.
Statt eigenem Haustier: Spazierengehen mit Hunden aus dem Tierheim
Es gibt sie, die festen Hund-Mensch-Pärchen, bei denen die Chemie von Anfang an stimmt. Manche sind Angsthunde oder besonders dominant und brauchen daher hundeerfahrene Menschen. Häufig sind die Hunde aber nicht festgelegt auf eine bestimmte Person zum Gassi gehen — sie freuen sich einfach über den Auslauf.
Das Tierheim Ludwigsburg ist eines der größten Tierheime in Baden-Württemberg
Seit rund 50 Jahren wird das Tierheim vom Ludwigsburger Tierschutzverein betrieben. Hier wird dafür gesorgt, dass Tiere gut versorgt werden, die abgegeben, auf der Straße gefunden oder beschlagnahmt wurden. Dazu gehören neben Hunden, Katzen und Kleintieren wie Kaninchen und Meerschweinchen auch exotische Tiere wie Bartagamen, Schildkröten, Spinnen oder Reptilien. Sogar Esel, Pferde und Lamas sind immer wieder kurzfristig Gäste.
In einem Gespräch schildern Christoph Bächtle, erster Vorsitzender des Tierheim-Vorstands, und Miriam Teichert, ehrenamtlich tätig, die Schwierigkeiten und die schönen Seiten ihres Engagements für Tiere. Geleitet wird das Ludwigsburger Tierheim mit eigener Tierarztpraxis von Ursula Gericke, zum festen Team gehören Tierpflegerinnen und Tierpfleger sowie Mitarbeitende der Verwaltung.
Warum kommen Tiere überhaupt ins Tierheim?
In den meisten Fällen landet ein Tier hier, weil sich die Lebensumstände der Halter:innen verändern, eine Allergie auftritt oder sie schlicht überfordert sind. Auch die sogenannten »Corona-Hunde« gibt es, die im Lockdown angeschafft wurden und nun nicht mehr gewollt sind.
Wenn man keine Ahnung hat, kann viel schief gehen.
Immer wieder gibt es Fälle, in denen die mangelnde Erfahrung dafür sorgt, dass Tiere unerwünschte, unsoziale Eigenschaften zeigen und entwickeln. Miriam und Christoph berichten mir von Herdenschutzhunden, die nach einem Jahr plötzlich das Regiment in der Familie übernehmen oder einen so starken Beschützerinstinkt entwickeln, dass Besuch von Freund:innen unmöglich wird. Sie erzählen vom Berner Sennenhund, der aufgrund eines nicht vorhandenen oder falschen Trainings nach neun Monaten seinen Besitzer gestellt und nicht mehr aus dem Badezimmer gelassen hat.
Diese Hunde werden ins Tierheim gegeben, weil sie angeblich schwierig oder nicht erziehbar sind und müssen zuerst resozialisiert werden, um überhaupt eine Perspektive zu bekommen. »Leider«, so Christoph, »liegt das Problem oft am anderen Ende der Leine.« Der Berner Sennenhund von oben konnte übrigens nach intensivem Training im Tierheim seinen Hundeführerschein machen.
Wie Tiere ein neues Zuhause finden
Die gute Nachricht: Oft finden die Tiere dank einer ausführlichen Beratung der Mitarbeitenden des Tierheims ihre passenden Halter:innen. Wer sich für ein Tier interessiert, muss sich selbst als geeignet beweisen. So kommt es tatsächlich selten vor, dass vermittelte Tiere wieder abgegeben werden.
»Die Menschen sollten sich frei machen vom Aussehen des Hundes und lieber nach Charakter und Wesen gehen«, meint Christoph. Jemand, der gerne wandert, braucht einen bewegungsfreudigen Hund, und jemand, der eher gemütlich ist, einen ruhigeren Begleiter. Nicht jedes Tier benötigt stundenlange Spaziergänge und ununterbrochen Action.
Das gilt genauso für Katzen, Kleintiere und andere Bewohner des Tierheims. Das Tierheim lässt sich beispielsweise bei Meerschweinchen und Kaninchen genau schildern und zeigen, wie die neuen Mitbewohner in ihrem neuen Zuhause untergebracht werden sollen.
Wer sich ein Tier aus dem Tierheim holt, kann sich in einem sicher sein: Mit der Adoption ist man nicht plötzlich auf sich alleine gestellt. Das Tierheim steht auch nach der Vermittlung mit Rat und Tat zur Seite. Wer bei seinem Hund im Alltag merkt, dass noch etwas Unterstützung nötig ist, bekommt den Kontakt zu Hundetrainerinnen und -trainern, damit gemeinsam weiter gearbeitet kann.
Manche Tiere bleiben für immer im Tierheim
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: ihr Alter, Krankheiten oder schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, die sich kaum wieder gut machen lassen. »Bei uns wird kein Tier aufgrund von Perspektivlosigkeit oder weil kein Platz ist eingeschläfert«, macht Miriam klar.
»Nicht für jedes Tier ist das Tierheim ein schrecklicher Ort«, so Christoph. Es gibt also keine Vermittlung um jeden Preis. Manche Tiere empfinden den Alltag im Tierheim nicht einmal als Stress, sie fühlen sich mitunter sogar wohl. Dann dürfen sie bis zu ihrem Lebensende dort wohnen.
Tierschutz Ludwigsburg: Tägliche Herausforderungen, persönliche Schicksale und kleine Lichtblicke
Vor allem die Exoten im Tierheim benötigen eine spezielle, teure Ausstattung wie UV-Licht und Expertise. Obwohl diese Tiere auf keinen Fall einfach in der Natur ausgesetzt werden dürfen, finden sich immer wieder Rotwangenschildkröten oder andere nicht heimische Tiere in Seen und der Natur.
Wie du Jungvögeln helfen kannst
Eine der größten Herausforderungen sind seit ein paar Jahren Wildvögel, bei denen die staatliche Unterstützung trotz aller Notwendigkeit fehlt. Ihre Pflege beim Füttern und Auswildern ist zeitintensiv. Alleine 2021 landeten über 800 im Tierheim in Hoheneck. Ich erfahre, dass menschliche Hilfe manchmal gar nicht nötig ist: Zum Beispiel, dass Ästlinge, also Jungvögel, die noch nicht flügge sind und aus dem Nest gefallen sind, oft gar nicht ins Tierheim gebracht werden müssen. Da Vögel nicht gut riechen, kann man sie problemlos wieder ins Nest zurücksetzen. Oder, wenn das Nest nicht erreichbar ist, kann man den kleinen Vogel in ein nahe gelegenes Gebüsch setzen, wo er vor Fressfeinden geschützt ist. Die Vogeleltern versorgen den kleinen Ausreißer in der Regel weiter.
Tierschutzverein kümmert sich um traumatisierte Tiere
Im Tierheim-Alltag gibt es immer wieder Schicksale, die den Tierschützenden besonders nahe gehen. Etwa Fälle von »Animal Hording«, bei denen Tiere gesammelt werden und dabei komplett verwahrlosen: Ihr Fell ist oft komplett verfilzt, sie sind von Parasiten befallen und müssen sowohl körperlich als auch seelisch aufgepäppelt werden. Miriam und Christoph erzählen mir von einer Dobermann-Hündin, die stundenlang bewegungsunfähig an einer Heizung festgekettet war. Oder von schwer traumatisierten Katzen und Hunden, die teilweise tagelang neben ihren verstorbenen Besitzern verharren mussten, bis sie gefunden wurden.
Es gibt auch schöne und lustige Momente im Tierheim-Alltag.
So erzählt mir Miriam lachend von einem Beo-Vogel, der zuvor bei einem älteren schwäbischen Mann gewohnt hatte. Der Beo selbst hatte sich den ein oder anderen Spruch von seinem Vorbesitzer angeeignet, sodass er Besucher:innen des Vogelhauses erst einmal ein »Halt’s Maul« im schwäbischen Dialekt entgegen rief. Ein anderer Beo konnte so gut das Tierheim-Telefon imitieren, dass es manches Mal zu Verwirrungen im Büro kam.
Öffentliche Gelder reichen nicht für den Betrieb
Finanzielle Unterstützung erhält das Tierheim unter anderem aus öffentlicher Hand: mit über 30 Gemeinden aus dem Landkreis Ludwigsburg wurden Verträge geschlossen. Dafür soll im Gegenzug sichergestellt werden, dass das Tierheim 24 Stunden an jedem Tag im Jahr Tiere aufnimmt, versorgt und falls nötig auch tierärztlich behandelt. Doch die öffentlichen Gelder können die tägliche Arbeit nicht annähernd finanzieren.
Wie du das Tierheim Ludwigsburg unterstützen kannst
Ohne private Spenden oder das Engagement von Unternehmen geht es nicht. Besonders Geldspenden ermöglichen es dem Team, wichtige Anschaffungen schnell und unkompliziert machen zu können. Eine Mitgliedschaft im Tierschutzverein Ludwigsburg e.V. ist ein verlässlicher Beitrag zur Finanzierung des Tierheims. Auch Einmal-Spenden von Kleinbeträgen unterstützen.
Firmen, Vereine, Schulen und Kindergärten können aktiv werden. So haben manche Teams bereits gemeinsam Wände gestrichen oder die hauseigene Tierarztpraxis eingerichtet. Auch kann das Tierheim für spezielle firmeninterne Förderprogramme vorgeschlagen werden, um größere Projekte mitzufinanzieren.
Daneben gibt es immer wieder Projekte, bei denen kurzfristig Helferinnen und Helfer mittels Aushängen gesucht werden. Zuletzt war dies bei den neuen Freiläufen für die Hunde der Fall. Hier können sich die Tiere auf einer größeren Fläche ohne Leine und Geschirr bewegen, es wird gespielt, trainiert und das Zusammenspiel zwischen Hund und Mensch geübt.
Willst du dich bei Tierheim-Aktionen engagieren?
Dann schau regelmäßig auf der Tierheim-Website vorbei und folge den Social-Media-Accounts:
Dringend gesucht: Ehrenamtliche zum Hunde ausführen
Wer die eigene Zeit zur Verfügung stellen möchte, kann sich neben dem Gassi gehen zum Katzen streicheln oder Vorlesen beim Tierheim melden. Vorlesen für Katzen? Das klingt erst einmal kurios, aber Miriam erklärt, dass sich vor allem Katzen, die bisher wenig Kontakt zu Menschen hatten oder ängstlich sind, so besser an die Anwesenheit und die Stimme von Menschen gewöhnen. Und da so eine Unterhaltung mitunter etwas einseitig werden kann, ist Vorlesen eine gute Alternative, wenn der Gesprächsstoff einmal ausgeht.
Du magst Hunde, hast aber keinen eigenen? Besonders von montags bis freitags zwischen 13:30 Uhr und 16:30 Uhr ist der Bedarf an Ehrenamtlichen bei Weitem nicht abgedeckt. Das Tierheim benötigt dringend mehr Freiwillige zum Hunde ausführen. Wer also mindestens 16 Jahre als ist und über Hundeerfahrung verfügt, kann sich bei der Hundetrainerin Elisabeth Oeser vom Tierheim Ludwigsburg melden:
Veröffentlichung: 27.09.2022
Autorin: Christine Kopp
Bilder: Christine Kopp
Titelbild: Liza Bakay
Hund im Wasser: Helena Lopes
Grauer Hund: Marcelo Dias