Das persönliche Interview: Vom Arbeiterkind zur Oberbürgermeisterin
Wir starten eine neue Interview-Reihe: In lockerer Abfolge stellen wir euch spannende Menschen aus der Region vor, die aufregende Geschichten zu erzählen haben.
Den Anfang macht eine Frau mit beeindruckender Karriere, die seit 14 Jahren die Geschicke Kornwestheims leitet: Oberbürgermeisterin Ursula Keck.
Dass Ursula Keck Abitur macht und studiert, konnte sich ihre Mutter damals nicht vorstellen.
Als Witwe erzog sie ihre vier Kinder allein. Für ihre Tochter hatte sie andere Berufswege im Sinn. Eine Mitarbeit in der heimischen Backstube hätte sie gern gesehen. Dass ihre Tochter einmal Oberbürgermeisterin werden würde — undenkbar.
Man kann nur ahnen, wie schwierig es für die junge Ursula war, sich durchzusetzen und ihren eigenen Weg zu gehen. Mit Hilfe der großen Schwester füllte sie den BAföG-Antrag aus, um sich die Busfahrt aus ihrem Heimatort Mötzingen zum Gymnasium in Böblingen leisten zu können. 1982 machte sie Abitur. Später studierte sie in Ludwigsburg und schlug eine Verwaltungskarriere ein. Als Orts- und Bezirksvorsteherin sammelte sie wertvolle Erfahrungen.
Als das Amt der Oberbürgermeisterin in Kornwestheim ausgeschrieben war, wagte sie es und kandidierte. Ursula Keck ging ihren Weg. Sie gewann 2007 die Wahl zur Oberbürgermeisterin, packte viele Themen in Kornwestheim an und wurde 2013 wieder gewählt. Heute ist sie eine von sieben weiblichen Oberbürgermeisterinnen in Baden-Württemberg. Als sie studierte, gab es noch keine einzige Frau als Bürgermeisterin oder Oberbürgermeisterin.
Wir wollten mehr über diese Frau erfahren und trafen Ursula Keck Ende September zum persönlichen Interview im Museum im Kleihues-Bau gleich gegenüber dem Kornwestheimer Rathaus.
Ursula Keck im »Hallo Ludwigsburg«-Interview
Das Interview führte Tabea Lerch
Über die Arbeit als Oberbürgermeisterin
Frau Keck, wie starten Sie morgens in den Tag?
Mein Frühstück ist mir total wichtig. Dafür nehme ich mir jeden Morgen mindestens eine Stunde Zeit. Dabei lese ich zwei Zeitungen, um mich zu informieren. Danach laufe ich meine Runde und um 9 Uhr beginne ich zu arbeiten.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf als Oberbürgermeisterin?
Das Schönste ist, dass ich jeden Tag Menschen treffe, die mir etwas geben. Wenn ich abends heim gehe, überlege ich mir: »Was war die besondere Begegnung des heutigen Tages?« Da fällt mir jeden Tag was ein!
Was hat Sie in den letzten Tagen bewegt?
Ich freue mich über die Entscheidung von der W&W-Gruppe, den Standort nach Kornwestheim zu verlagern.
Das sehen die Ludwigsburger:innen garantiert anders.
[Schmunzelt] Dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen.
Welche Begegnung der letzten Zeit geht Ihnen nicht aus dem Kopf?
Da fällt mir die Ökumenische Hospizgruppe Kornwestheim ein, an deren Feier zum 30-jährigen Bestehen ich teilgenommen habe. Diese ehrenamtliche Gruppe begleite ich seit langem mit viel Interesse. Ich bin immer wieder fasziniert, dass Ehrenamtliche sich dafür einsetzen, Sterbe- und Trauerbegleitung anzubieten. Das ist eine unglaubliche Bereicherung für unsere Stadt.
Sie haben 2018 in einem Interview mit zwei Schülern einmal über Ihren Job gesagt: »Nein, es ist kein Beruf für Leute ohne Idealismus.« Wo sind Sie Idealistin?
Ich bin Idealistin, weil ich an das Gute im Menschen glaube. Ich sehe, dass es unglaublich viele Menschen gibt, die sich für ihre Kommune und für ihre Themen einsetzen. Man sollte sich nicht von pessimistischen Ansichten leiten lassen und denken: »Es wird nicht besser.« Das gilt für mich auch ganz besonders in der Corona-Zeit: Ich war und bin davon überzeugt, dass wir einen Weg finden, damit umzugehen.
Was bedeutet Ihnen persönlich nach 14 Jahren als Oberbürgermeisterin Erfolg?
Erfolg heißt für mich, Menschen zusammenzuführen, gemeinsam einen guten Konsens finden und die Entscheidungen gemeinsam tragen.
Hat es Sie je gereizt, in die Landes- oder Bundespolitik zu gehen?
Nein. Aus zwei Gründen: Ich genieße es, an der Basis zu arbeiten, durch die Stadt zu gehen und mit den Leuten im Gespräch zu sein. Auf höheren Politikebenen zu arbeiten, wäre mir zu distanziert und zu weit weg vom Leben der Menschen. Ein Ministerium ist nicht meine Heimat. Ich genieße vielmehr die Nähe zu den Menschen und fühle mich in einem direkten, persönlichen Umfeld sehr wohl.
Werden Sie 2023 nochmal antreten?
Mein Beruf macht mir Spaß. Ich habe noch viele Ideen und Projekte, die mir wichtig sind und die ich auf den Weg bringen möchte. Ich werde nächstes Jahr vor der Sommerpause erklären, wie ich mir meine Zukunft wünsche und vorstelle.
Über Frauen in Führungspositionen
Der Anteil der Oberbürgermeisterinnen in BaWü liegt bei acht Prozent. Sie sind eine von sieben weiblichen OB im Land. Woran liegt das aus Ihrer Sicht und was muss geschehen, damit es mehr werden?
Ich denke erstens, dass Frauen bei ihrer Abwägung, ob sie dieses Amt anstreben, viel stärker auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schauen als Männer. Damit setzen sich Männer weniger auseinander. Und zweitens trauen sich Frauen immer noch zu wenig zu. Man sollte ihnen als Vorgesetzte deshalb Übungsfelder geben, um sich auszuprobieren, ihnen Mut machen und sie nach und nach an größere Herausforderungen heranführen.
Sie haben kürzlich ein Treffen aller Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeisterinnen Baden-Württembergs abgehalten. Wie war da der Tenor zum Thema Gleichberechtigung? Gibt es nach wie vor Benachteiligungen in dem Amt für Frauen?
Wenn ein Mann seine Vorstellungen im Amt durchsetzt, wird gesagt, er sei durchsetzungsfähig und überzeugend. Bei Frauen wird das anders bewertet. Ihnen spricht man diese Durchsetzungskraft nicht zu. Fast alle Frauen haben auch mehr Probleme, ihre Wiederwahl zu bestehen als männliche Kollegen. Das liegt daran, dass Männern in der ersten Wahlperiode diese Durchsetzungskraft als Vorteil ausgelegt wird. Bei Frauen werden solche Diskussionen über Standpunkte als Besserwisserei, Arroganz oder gar Streitlustigkeit ausgelegt.
Über die Stadt Kornwestheim und Region
Ihr Lieblingsort in Kornwestheim zum Relaxen?
Der Salamanderpark ist für mich ein wunderschöner Ort. Dort drehe ich meine Laufrunden, die ich sehr genieße — zu jeder Jahreszeit.
Was wird in Kornwestheim unterschätzt?
Die Lebensqualität, die Vielfalt der Bildungsangebote und die Vielfalt der Menschen in Kornwestheim. Große bürgerliche Kraft steckt im Ehrenamt, was von außen nicht so stark wahrgenommen wird. In Kornwestheim sind wir uns dieser besonderen Stärke bewusst.
Was kann sich Ludwigsburg von Kornwestheim abgucken?
Nun: Weitläufige Stadtteile wie Ludwigsburg hat Kornwestheim nicht. Dafür verfügen wir über ein kompaktes Stadtgebiet, wodurch die Wege sehr kurz sind. Abgucken kann man sich von Kornwestheim die Verbundenheit der Menschen untereinander sowie die grünen Oasen, die wir haben.
Ihr Lieblingsausflugsziel in der Region?
Ich bin ein Fan der Schwäbischen Alb, dort gehe ich gern um die Teck oder den Hohenneuffen wandern. Hier in der Nähe ist alles, was am Neckar ist, wunderschön! Orte wie Hessigheim, Mundelsheim und Lauffen am Neckar haben einen hohen Erholungswert und sind schnell zu erreichen.
Über die Corona-Zeit in Kornwestheim
Was war für Sie bisher persönlich die größte Herausforderung während der Corona-Pandemie?
Ich hatte am Anfang keine Angst vor Corona. Damit will ich sagen: Ich hatte keinerlei Angst davor, selbst angesteckt zu werden. Vielmehr bin ich genau davon ausgegangen, allein schon wegen meiner viele Kontakte als Oberbürgermeisterin. Diese Einstellung gab mir sehr viel Kraft, das Thema objektiv zu steuern. Doch als die Beta-Variante sich ausbreitete, rief mich abends eine Kitaleiterin an und berichtete von drei positiven Fällen in ihrer Einrichtung. Da habe ich zum ersten Mal Angst gespürt. Angst, dass sich der Virus durch die ganze Einrichtung zieht und sich auf die Stadt ausbreitet. Darum habe ich entschieden, die Einrichtung zeitweilig zu schließen.
[Anmerkung: Im November 2021 war die Oberbürgermeisterin trotz doppelter Impfung an Corona erkrankt. Inzwischen ist sie wieder genesen.]
Was hat sich durch Corona in Kornwestheim und der Region verändert?
Es kommen weniger Leute zu kulturellen Veranstaltungen, weil viele noch Angst haben.
Welche(n) Menschen haben Sie im vergangenen Corona-Jahr bewundert?
Da fällt mir Yvonne Bauer ein, eine Frau Mitte 30, die seit dem vorigen Jahr Müll in Kornwestheim sammelt. Sie ist fast jeden Tag im Stadtgebiet unterwegs und hat schon gemeinsame Müllsammelaktionen ins Leben gerufen, bei denen viele Menschen mitmachen. Sie hat sogar einen Blog und denkt sich darin Geschichten, beispielsweise zu eingesammelten Bananenschalen, aus. Sie hat nicht nur Disziplin und Idealismus, sondern auch Überzeugungskraft. Yonne Bauer ist für mich ein Vorbild.
Ursula Keck über sich selbst
Mein Eindruck ist, dass Sie sehr diszipliniert sind. Trifft das zu?
Ich bin sehr diszipliniert. Ich glaube, das braucht dieser Beruf auch. Abends gehe ich erst nach Hause, wenn meine Postmappen und meine E-Mails bearbeitet sind. Das gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich gehe und auch, wenn ich am nächsten Tag ins Rathaus komme.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Aktuell lese ich »The Circle« von Dave Eggers, doch ich muss zugeben, dass es etwas mühsam ist. Aber ich lese jedes Buch, das ich angefangen habe, auch zu Ende. Ich schaue auch jeden Film bis zum Ende an.
Was machen Sie am liebsten allein?
Bügeln — bevorzugt am Sonntagmorgen nach dem Frühstück.
Auf was können Sie nicht verzichten?
Auf mein Frühstück am Morgen. Ich habe es probiert und festgestellt, dass das nicht geht.
Was haben Sie bislang nicht geschafft?
Ich würde gern zehn Kilometer in weniger als einer Stunde laufen.
Welche Angewohnheit würden Sie gern loswerden?
Das Rauchen bin ich bereits losgeworden, vor zwei Jahren. Das war nicht leicht. Ich habe auch heute immer wieder Phasen, in denen ich gern rauchen würde und es gibt ganz wenige Momente, in denen ich das auch noch tue.
Was würden Sie tun, wenn Sie keine Angst hätten?
Einen Klettersteig wandern und über Hängebrücken laufen, aber ich habe leider Höhenangst.
Was macht Sie wütend?
Unzuverlässigkeit und Unehrlichkeit. Damit kann ich schlecht umgehen.
Was macht Sie glücklich?
Glücklich macht mich das Leben. Ich bin dankbar für die Art zu leben, wie ich leben darf. Dankbar, in Deutschland zu leben und für die gute Gesundheitsversorgung hier.
Haben Sie ein Lebensmotto? Wie lautet es?
»Genieße jeden Tag und nimm ihn an.« Denn: Ich kann nichts daran ändern, was gestern war. Ich weiß nicht, was morgen passiert. Aber heute kann ich bewusst leben!
Welchen Buchtitel würden Sie Ihrer bisherigen Laufbahn geben?
Ich würde es wahrscheinlich »Die Strickleiter des Aufstiegs« nennen. Meine Strickleiter ins berufliche Leben war das BAföG. Ohne BAföG hätte ich kein Abitur machen können und der Weg, den ich gegangen bin, wäre mir verschlossen geblieben.
Frau Oberbürgermeisterin, wir danken Ihnen für das offene Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute!
Ausstellungstipp:
»Helden des Südwestens« in Kornwestheim
Während unseres Interviews mit Frau Keck im Erdgeschoss des Museums im Kleinhues-Bau wurde im 1. OG gerade die Ausstellung Helden des Südwestens aufgebaut.
Die solltet ihr euch ansehen! Von Porsche, Capri-Sonne und Ritter Sport über Steiff, Caro-Kaffee und Co.: Viele Produkte, die Baden-Württembergs einfallsreiche Unternehmen im Laufe der Zeit entwickelten oder produzierten, haben inzwischen Kultstatus. Ihnen ist die aktuelle Ausstellung im Museum gewidmet. Als Kornwestheimer Lokalmatador spielt allen voran Lurchi, der Salamander, natürlich eine wichtige Rolle.
Kommt noch bis 26. Juni 2022 vorbei und bewundert die Ahoj-Brause-, Tipp-Kick- und Pustefix-Exponate. Während der Laufzeit gibt es außerdem tolle Workshops, schaut mal rein:
Kennst du auch einen Menschen aus der Region, der eine spannende Geschichte zu erzählen hat?
Dann schreib uns unter post@hallo-ludwigsburg.de. Erzähl uns von ihr oder ihm und was diese Person besonders macht!
Veröffentlichung: 07. Dezember 2021
Autorin: Tabea Lerch
Fotografie: Deborah Schulze